Goethes "Faust" und die Schöpfung
Goethes Opus magnum Faust hat bis heute nichts an Aktualität verloren: Bereits im Vorspann thematisiert die Tragödie die Verantwortung des Menschen gegenüber der Schöpfung, lange bevor Umweltschutz und Nachhaltigkeit etablierte Begriffe waren.
Der Teufel Mephisto hält sich nicht mit seiner Kritik an der Schöpfung zurück: Die Zustände auf der Erde finde er „herzlich schlecht“ (V. 296) und der Mensch, der dort uneingeschränkt waltet und frei über die Schöpfung verfügt, verhalte sich „tierischer als jedes Tier“ (V. 286).
Doch Mephisto erkennt auch, dass Gott die Menschheit mit einem freien Willen ausgestattet und somit erst zu einem solchen Verhalten befähigt hat. Dass der Mensch in seinem freien Handeln auch der Schöpfung schaden kann, wird in Faust I eindrücklich dargestellt: Der Teufel treibt sein böses Spiel, das fromme Gretchen wird verführt und unschuldige Menschen müssen ihr Leben lassen – ohne dass Gott in die Handlung oder menschliche Freiheit eingreift.
Doch Goethes Gott-Figur ist deswegen nicht grausam – im Gegenteil, sie setzt Mephisto bewusst auf Faust an, weil sie damit ein höheres Ziel verfolgt, das der gesamten Menschheit zugu- tekommt: In Genesis setzt Gott den Menschen
in den Garten Eden, damit er diesen „bearbeite und hüte“ (Gen 2,15) – die Schöpfung ist sowohl Geschenk als auch Auftrag an den Menschen, eine Verantwortung, die schnell in Vergessenheit geraten kann. Das weiß auch die Gott-Figur und erinnert an den noch unerfüllten Schöpfungs- auftrag, indem sie aufzeigt, wie leicht sich das Böse verbreiten kann, solange die Schöpfung unvollendet ist. Es liegt in der Verantwortung des Menschen, Gottes Schöpfung zu bewahren, denn „wem man viel anvertraut hat, von dem wird man umso mehr verlangen.“ (Lk 12,48).
Lea Gremm, Literaturwissenschaftlerin und Mitarbeiterin des Bibelwerks