Schöpfung
Die Schöpfungsgeschichten, die ersten Texte des heiligen Buches der Jüd*innen und Christ*innen, haben immer wieder Komponist*innen fasziniert und inspiriert. Das bekannteste Beispiel dafür ist für viele das Oratorium „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn. Aber Haydn ist bei weitem nicht der einzige, der sich mit dem Schöpfungstext beschäftigt hat.
Dieser Musikhappen stellt einige Werke vor, die den Schöpfungstext aus Genesis verarbeitet haben – und doch durch Auslassungen oder Hinzufügungen ihren je eigenen Schwerpunkt setzen.
Joseph Haydn - Die Schöpfung (1798)
Joseph Haydns (1732-1809) Oratorium „Die Schöpfung“ ist vielen so bekannt, dass es gerne als die in Musik gesetzte Version des biblischen Schöpfungstextes gesehen wird, der lediglich durch einige Arien und Chöre ergänzt ist. Die Eingriffe und Veränderungen in den biblischen Text gehen jedoch viel weiter und sind viel tiefschichtiger als bloßes Hinzufügen einiger ausschmückender, musikalischer Teile. Haydn hält sich in der Reihenfolge der Schöpfungstage an die biblische Vorlage und die Rezitative sind zu weiten Teilen wörtlich aus Gen 1 übernommen. In den Arien verarbeitet er dann immer wieder Gedanken und Bilder aus John Miltons (1608-1674) epischem Gedicht „Paradise Lost“. Milton stellt den Sündenfall des ersten Menschenpaares in den Vordergrund und schildert ihn aus der Sicht des Satans. Miltons Gedicht wurde zuerst zu einem Libretto verarbeitet und wahrscheinlich zunächst Georg Friedrich Händel vorgelegt. Joseph Haydn bekam es während einer Englandreise in die Hände und brachte es mit nach Wien. Das vermutlich von Haydns Freund und Gönner Gottfried van Swieten erstellte deutsche nimmt zwar Anleihen an Miltons Gedicht, allerdings lediglich aus dem Teil des Gedichtes, in dem Raphael Adam und Eva die Schöpfungsgeschichte erzählt. Bei Milton ist das ein absoluter Nebenschauplatz.
Haydns Libretto hält sich dagegen an die Abfolge der biblischen Erzählung, ohne die Zusätze des Milton’schen Gedichtes. So wird das Herzstück des Gedichts, die Person des Satans, nicht einmal erwähnt.
Einzig zu Beginn des Werkes ist kurz die Rede davon, dass Gott die Höllgengeister „in des Abgrunds Tiefen hinab“ stürzt.
Erst im dritten Teil des Oratoriums, dem ersten Tag von Adam und Eva im Paradies, greift das Libretto auch auf andere Teile des Milton‘schen Gedichts zurück. Haydns Auslegung der Schöpfung ist jedoch viel positiver und optimistischer als die Miltons. Haydn macht ein aufklärerisches Werk daraus. Die Menschen können durch Vernunft Gottes Schöpfung begreifen und da diese Schöpfung aus Gottes Hand kommt, ist und bleibt sie unveränderlich gut. Steht bei Milton die pessimistische Einschätzung im Vordergrund, dass der Mensch immer zur Sünde neigt und einer Erlösung bedarf, so herrscht bei Haydn ein aufklärerisch-idealistisches Welt- und Menschenbild vor. Vor dem Sündenfall, Miltons zentrales Geschehen, wird bei ihm nur ganz am Schluss zart in einem unscheinbaren Rezitativ gewarnt.
Wiener Symphoniker
Arnold Schoenberg Chor
Solisten: Edita Gruberova, Josef Protschka, Robert Holl
Nikolaus Harnoncourt, Dirigent
Der verwendete Bibeltext im Vergleich | ||||
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Anton Rubinstein – Das verlorene Paradies (1859)
Der russische Komponist Anton Grigorjewitsch Rubinstein (1829-1894) schrieb kein Oratorium zum Schöpfungsstoff, sondern eine „religiöse Oper“. Durch die Mischung der beiden Genres erhoffte er sich größeren Zuspruch für das Stück. In der szenischen Fassung, die Rubinstein sich ursprünglich wünschte, war es jedoch so gut wie unmöglich das Stück auf die Bühne zu bringen. Dazu war es einfach zu groß und zu teuer. In konzertanter Fassung wurde es zu Rubinsteins Lebzeiten jedoch oft gespielt. Die Premiere dirigierte Franz Liszt in Weimar. Danach dirigierte Rubinstein das Stück oft selbst.
Das Stück gliedert sich in drei Teile, die im Großen und Ganzen John Miltons Gedicht „Paradise Lost“ nachempfunden sind. Der erste Teil behandelt den Sturz des Satans aus dem Himmel mit seinem Gefolge. Gott kündigt in seinem ersten Rezitativ die Erschaffung einer neuen Welt an und erklärt, dass seine Engel dem Geschöpf, das er auf die Welt stellt, dienen sollen, weil es nach Gottes Abbild geformt ist. Das sieht der Satan nicht ein und ruft zur Revolte auf. In Doppelchor-Sätzen kämpfen der Chor der Anhänger des Satans („Chor der Empörten“) und der Chor Gottes („Chor der Himmlischen“) gegeneinander, bis der Himmel siegt.
Der Satan weiß dann zwar, dass er nicht mehr in den Himmel kann, will Gott aber dennoch stören, indem er die neu geschaffene Erde wieder in Unruhe stürzt. Der erste Teil endet damit das Gott verkündet, nach dem schmerzhaften Vorfall mit dem gefallenen Engel „sei für alles was verloren, nun eine neue Welt gegründet“, was sein Chor von Engeln freudig preist und besingt.
Der zweite Teil des Werkes erzählt die Schöpfung der Erde. Der Teil beginnt mit einer Art Ouvertüre, bei der Rubinstein sich womöglich von Haydns Darstellung des Chaos inspirieren hat lassen, und die damit endet, dass Gott das Chaos beendet. Umso wichtiger das wird, was Gott an einem Tag schafft, umso länger und imposanter werden die dazugehörigen musikalischen Nummern. Die Tage sind fast immer gleich aufgebaut: Zuerst ein Rezitativ Gottes darüber, was er als nächstes schafft und danach folgt ein Chorteil, in dem das Geschaffene beschrieben und gepriesen wird. Erst mit der Schöpfung der Tiere ändert sich an dieser Abfolge etwas. Da folgt nämlich auf das Rezitativ Gottes ein Orchesterzwischenspiel. In der Schöpfung des Menschen wird das nochmal gesteigert, indem Gott selbst, nach seinem Rezitativ, die Erschaffung des Menschen in einem kleinen Arioso besingt. Nach einem kurzen Jubelchor tritt Adam und danach Eva auf. Sie besingen Gott in einem Duett. Gott gibt ihnen noch mit auf den Weg, dass sie vom Baum der Erkenntnis nicht essen sollen. Mit einem imposanten Lobgesang auf den Schöpfer, der in einem großen Hallelujah endet, beendet der Chor den zweiten Teil.
Der dritte Teil beginnt wieder mit einer Orchesternummer, gefolgt von einem Jubelchor der Anhänger des Satans und einem Trauerchor der Engel. Die Erzählung steigt also nach dem Sündenfall ein. – die Erzengel bitten Gott um Entschuldigung, dass sie nichts gegen den Sündenfall tun konnten und Gott erklärt ihnen, dass er ohnehin wusste, dass das Böse versuchen wird einzudringen und der Mensch, durch seinen freien Willen selbst Schuld daran ist, dass er dem Bösen nachgegeben hat. Das Gespräch zwischen Gott und den Menschen, in dem er ihnen eröffnet, dass sie das Paradies verlassen müssen und wie es nun zu Strafe mit ihnen weitergeht folgt weitgehend dem Bibeltext von Gen 3,9-23. Nachdem Gott Adam und Eva verlassen hat beklagen sie ihr Schicksal. Der Chor des Himmels schickt sie hinaus aus dem Paradies, während der Chor des Teufels sich über seinen Erfolg freut.
Ganz am Schluss treten die Erzengel auf und schließen das Tor des Paradieses für die Menschen.
Der verwendete Bibeltext im Vergleich | ||||
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Krzysztof Penderecki - Paradise Lost (1978)
Auch der polnische Komponist Krzystof Penderecki (1933-2020) greift für seine „Sacra Rappresentazione“ „Paradise Lost”, die von vielen als Oper charakterisiert wird, auf die Vorlage von John Miltons Gedicht „Paradise Lost“ zurück. Die Lyric Opera Chicago hatte zum 200. Jahrestag der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (1976) ein Stück bei Penderecki in Auftrag gegeben. Uraufgeführt wurde „Paradise Lost“ jedoch erst 1979. Penderecki zeichnet ein sehr düsteres Bild vom Kampf zwischen Gut und Böse. Der Satan bekommt viel Raum in der Erzählung und auch die Musik ist über weite Strecken geprägt von chromatischen Bewegungen und Moll-Akkorden. Im ersten Akt ist der Satan mit seinem Kampf um seine Macht im Himmel klar der Hauptdarsteller. Das ändert sich erst, als er im zweiten Akt die schlafende Eva zum Begehren nach der verbotenen Frucht verführen will und vom Engel Gabriel vertrieben wird.
Dann geht Penderecki einen anderen Weg als zum Beispiel Rubinstein und legt den Fokus nun auf die Entwicklung der ersten Menschen. Darauf, wie sie mit dem Konflikt umgehen, den der Teufel in ihnen geweckt hat. Die starke negative Prägung des Stücks manifestiert sich vor allem nochmal in der Zukunftsvision, die der Erzengel Michael Adam zeigt, bevor er Adam und Eva aus dem Paradies wirft. Während in Miltons Gedicht in dieser Vision der Bogen über die gesamte Menschheits- und Religionsgeschichte gezogen wird, vom Sündenfall bis zur Erlösung durch Christus, verdichtet Penderecki die Erzählung und begnügt sich mit nur vier Stellen, die er über eine „Dies Irae“ Vertonung legt. In diesen vier Stellen zeigt der Engel dem Adam furchtbare Art und Weisen auf, durch welche Menschen zu Tode kommen werden. Er beginnt mit dem Brudermord und setzt fort mit Tod durch Seuchen, Krieg und Sintflut. Nach dieser Schreckensvision versucht der Erzengel Adam und Eva zwar mit auf den Weg zu geben, dass sie durch Liebe und Geduld auch in sich selbst und ineinander Teile des Paradieses wiederfinden können, aber dieser leise Hoffnungsschimmer lässt die vorher aufgezeigten Gräuel trotzdem nicht vergessen.
Eine besondere Herausforderung für Komponist*innen ist immer die Darstellung Gottes. Penderecki vertont Gott auf zweierlei Art in „Paradise Lost“: Einerseits, indem er den Erzähler Gottes Worte wiedergeben lässt, und andererseits durch einen Männerchor, dem er die Worte Gottes in den Mund legt – auf Hebräisch.
John Milton, speaker: Arnold Moss
Adam, baritone: William Stone
Eve, soprano: Ellen Shade
Satan, bass-baritone: Peter Van Ginkel
Beelzebub, tenor: Michael Ballam
Moloch, baritone: William Powers
Belial, tenor: Melvin Lowrey
Mammon, baritone: Edward Huls
Death, countertenor: Paul Esswood
Sin, mezzo-soprano: Joy Davidson
Zephon, soprano: Susan Brummell
Ithuriel: John Patrick Thomas
Gabriel, tenor: James Schwisow
Raphael: Dale Terbeek
Messias, baritone: Alan Opie
Michael, tenor: Frank Little
Voices of God: John Brandstetter, David Howell, Edward Huls, Daniel McConnell, William Mitchell
Lyric Opera Chorus
Lyric Opera Orchestra
Bruno Bartoletti, Dirigent
Der verwendete Bibeltext im Vergleich | ||||
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Aaron Copland – In the beginning (1947)
Als viertes Stück nun eine ganz andere Vertonung der Schöpfungsgeschichte von Aaron Copland (1900-1990), einem amerikanischen Komponisten. Er vertont in dieser ca 15-20-minütigen Kantate für gemischten Chor und Mezzosopran-Solo den Text von Gen 1,1-2,7 und verwendet dabei Wort für Wort den biblischen Text.
Die Solistin eröffnet das Stück erzählend, mit der schönen „Regieanweisung“: „in a gentle, narrative manner, like reading a familiar and oft-told story“. Tenor und Alt setzen ein und erzählen von Gottes Geist, der über den Wassern schwebt. Die Solistin singt von der Erschaffung des Lichts und Sopran und Bass im Chor bestätigen, dass Gott sah, dass das Licht gut war und er trennte das Licht von der Finsternis. – in jedem Tag hebt Copland einige Aussagen dadurch heraus, dass er sie homophon vom gesamten Chor singen lässt. Im Rahmen des ersten Tages zum Beispiel gleich die Benennung von Tag und Nacht. Am stärksten sind diese homophonen Stellen, wenn Copland den Chor auch noch unisono singen lässt. Das kommt zum Beispiel immer wieder bei der Bestätigung des Tageswerks „and it was so“ vor.
Ein weiteres auffälliges Strukturelement des Stückes ist der jedes Mal sehr rhythmisch gestaltete Abschluss eines Tages. „and the evening and the morning were the … day“
Wie schon bei Haydn endet die Komposition nicht mit dem Ende des ersten Schöpfungsberichts, sondern erst in der zweiten Schöpfungserzählung in Gen 2,7. Sein Stück gipfelt darin, dass Gott den Menschen den Lebensatem verleiht und ihn dadurch zu einem lebendigen Wesen werden lässt.
Mildred Miller, Mezzo Sopran
New England Conservatory Chorus
Aaron Copland, Dirigent
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Eva Puschautz